Seraphina LenzWilly DaumMichael BauseJulia ZieglerChristian Bilger

Kunst als Versuch

Verschiedene Charaktere sehen verschiedene Aspekte. Diesen schlichten, aber treffenden Satz hat Emmett Williams einmal gesagt. Der Fluxusprotagonist, der in den sechziger Jahren mit Künstlern wie Daniel Spoerri oder Robert Filliou zusammen wirkte, arbeitet auch heute noch mit Kollegen zusammen. Er sucht den Prozess, in dem sich die Teilnehmer von verschiedenen Standpunkten aus nähern, um den Weg zu einem gemeinsamen Ergebnis zu erkunden, das niemand vorher kennt. "Getting there is half the fun" nennt Williams das. Zusammenarbeit von Künstlern hat es immer gegeben. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aber erfuhr gerade die Sparten übergreifende Zusammenarbeit eine experimentelle Produktivität, wie sie zuletzt Dada bewiesen hatte - mit Aktionskunst, Geräuschmusik und Happenings, Konkreter Poesie, Environments und Konzerten. Mixed Media, der Sammelbegriff für Aktionen und Arbeiten aus heterogenen Materialien oder mit verschiedenen medialen Ausdrucksmöglichkeiten, etablierte sich. Wenn heute Künstler verschiedener Herkunft "mixed media" einsetzen, kann es also nicht mehr darum gehen, Grenzen zu sprengen. Die Grenzen sind gesprengt. Mit paradoxen Folgen. Manches Genre wie die neoexpressive Malerei zog sich auf seinen Sektor zurück, gleichzeitig aber nennt sich mittlerweile jedes Spektakel mit Feuer, Skulpturen und Tanz "interdisziplinär". Produktiver als Rückzug oder grenzenloses Allerlei erweist sich jedoch die Überprüfung von Standpunkten. Wie ist es möglich, sich trotz Herkunft aus Bildhauerei, Malerei, Rauminstallation, Klangskulptur und zeitgenössischer Musik anzunähern, ohne sich in Beliebigkeit zu verlieren, sondern vielmehr, um eine klare Position zu formulieren und Perspektiven für die künftige Arbeit zu gewinnen? So lässt sich wohl der Versuch umschreiben, an dem die fünf Teilnehmer dieser Inkonferenz zwei Jahre lang gearbeitet haben. "Die Idee basiert auf der Einsicht", sagen sie, "dass ständige Eigenblutinjektionen die Vitalität der eigenen Arbeit nicht zwangsläufig erhöhen. Wir sind bereit, uns mit Temperaturschwankungen, Virusinfektionen - kurz, unseren Kollegen mal wirklich auseinanderzusetzen und sie eingreifenzu lassen." Ein notwendiger Versuch. Denn wenn eine digitalisierte Gesellschaft Menschen verschiedener Fachgebiete miteinandervernetzt, um neue Einsichten zu gewinnen, wird auch Kultur als Teil der Gesellschaft andiesem Prozess partizipieren. Und es würde ihr nichts nützen, darauf so ängstlich zu warten wie das Kaninchen auf die Schlange.
Sechs Jahre, ein Projekt
Hören und Sehen geben Aufschluss über die Anordnung des Versuchs Inkonferenz. Das große Instrument im Zentrum der Dortmunder Ausstellung beispielsweise besteht aus vier Elementen, aus Papier und Fliesen, Glas und Kunststoffen. Aus Materialien also, die weniger an Klang und Rhythmus denken lassen als an Gestalten und Bauen. Kein Wunder. Denn dieses Instrument haben vier Künstler und Künstlerinnen gebaut - Michael Bause, Christian Bilger, Seraphina Lenz und Julia Ziegler. Jeder steuerte ein anderes Material bei. Der Komponist und Musiker Willy Daum spielt das Instrument. Kunst und Musik sorgen gemeinsam für den Klang: Das Zusammenwirken der Teilnehmer bringt ein neues Ganzes hervor, in dem die Herkunftspositionen sichtbar bleiben.
Die erste Inkonferenz fand im Winter 1994/95 in der Städtischen Ausstellungshalle von Münster statt. Damals hatten die Künstler Ruprecht Dreher, Michael Bause, Christian Bilger und Ralf Behrendt der Autorin Sandra Kellein im Vorfeld immer wieder Bilder, Zeichen und kleine Fundstücke zugeschickt. Kellein ließ sich davon zu einem autonomen Text anregen. Derweil bereiteten die Künstler die Ausstellung vor, jeder seinen Teil. Tatsächlich in Dialog traten die Arbeiten erst vor Ort: Korrespondenzen und Harmonien sowie Brüche und Gegensätze im gemeinsamen Arrangement verblüfften auch die Künstler.
Der Ausstellung im Künstlerhaus dagegen ging eine Zeit voraus, in der sich alle fünf Beteiligten regelmäßig trafen, um sich Methoden und Gedanken der anderen zu nähern. Sie stellten eine Mappe mit Arbeiten zusammen, deren Verkauf die Anschubfinanzierung des Projekts gewährleistete, sie schufen kleine gemeinsame Arbeiten - Objekte und Zeichnungen, wie sie in Dortmund zu sehen sind. Die vier Künstler gaben schließlich dem Musiker Aufnahmen ihrer Stimmen als Ausgangsmaterial für die Komposition, die nun auf CD dem Katalog beiliegt, und tauschten untereinander Material, Zeichnungen und Gegenstände aus. Jeder mit jedem: Der jeweilige Partner sollte das Erhaltene mit seinen Mitteln zu einem größeren Ganzen vervollständigen. Vier Künstler und ein Musiker: fünf Positionen in Konferenz.
Claudia Wahjudi
(Auszug aus dem Katalogtext)
Fotos: Carsten Gliese
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